Gastbeitrag von Professor Hermann Knoflacher, Wien

Der Tunnelblick ist immer gefährlich.

Stellt man die falschen Fragen, erhält man die falschen Antworten. Hätte man durch ein zusätzliches Angebot an Fahrbahnen für den Autoverkehr Verkehrsprobleme gelöst, dürfte es schon lange keine mehr geben. Falsch ausgebildete „Verkehrsexperten“ ohne Kenntnis der Systemwirkungen wenden eine Logik an, die in anderen technischen Gebieten jene Verheerungen anrichtet, die sie hier vermeiden wollen. Sie haben eine reduzierte Sicht auf die Welt, einen Tunnelblick und wenden Formel an, deren Logik und Bedeutung im System sie nicht verstanden haben. Diese verengte Sicht versuchen sie den politischen Entscheidungsträgern auch aufzuprägen.

Die Frau Ministerin würde keinen Wasserinstallateur in ihre Wohnung lassen, um einen tropfenden Wasserhahn zu reparieren, der feststellt, dass es sich dabei um eine „Engstelle im Netz“ handelt und ihr dann zwei Röhren ohne Absperrung einbaut. Wie ihre Wohnung danach ausschaut, kann man sich vorstellen. Es sind aber genau die gleichen Gesetze, die auch den Modellen für die Begründung dieses Projektes zugrundeliegen. Der Unterschied liegt nur in der Sichtweise des Systems. Im Verkehrswesen, das den Tunnel als Lösung verspricht, ist es der Blick durch die Röhre. Ein qualifizierter Installateur oder Klempner, wie man ihn in manchen Bundesländern auch nennt, hat die Systemsicht auf die Wohnung und kontrolliert den Wasserzufluss, egal wie viel noch Durchflussbedarf (Prognose) aus dem Wasserspeicher besteht. Ein „Wachstum“ des Autoverkehrs gibt es nicht, Autoverkehr ist ein künstliches System, das gemacht und verantwortet werden muss. Und es gibt keine Eingriffe ohne Folgen und in dem Fall auch irreversible Folgen für die Stadt.

Verkehr ist nie Selbstzweck, wie in allen Begründungen zu diesem Projekt behauptet wird, sondern immer nur Mittel zum Zweck. Dieser Zweck oder die Zwecke sind daher vorweg zu definieren – und zwar von der Stadt und ihren Bürgern. Der Verkehr ist diesen Zwecken unterzuordnen. Es müssen daher die Fragen anders gesellt werden, nämlich, was die Stadt, ihre Bürger, ihre Wirtschaft wollen.

Will die Stadt
· mehr Autoverkehr in ihrem Stadtgebiet,
· mehr Abgase aus dem Autoverkehr,
· mehr Verkehrsunfälle,
· mehr Kaufkraftabfluss und mehr Kaufkraftverluste,
· weniger Einflussnahme auf die Gestaltung der Zukunft,
· eine Autobahn durch ihre Stadt?

Wenn die Stadt, also ihre Bürger und die für die Stadt Verantwortlichen das alles wollen, dann passt der Stadttunnel dazu.

Denn die Wirkungen im System sind bekannt und lassen sich an vielen Beispielen belegen. Die zusätzlichen Fahrbahnen dieser Autobahn durch die Stadt werden die Geschwindigkeiten im System erhöhen und Autofahrten durch Freiburg ziehen, die heute entweder unterlassen, auf anderen Verkehrsmitteln oder Routen stattfinden. Mit der Geschwindigkeit steigt auch die Abgasbelastung und durch die vorübergehende Entlastung einiger Straßen, mit der man das Projekt schmackhaft machen will, wird auch dort schneller gefahren und es gibt auf Jahrzehnte eine Erhöhung der Unfallzahlen in der Stadt. Durch den Stadttunnel gewinnen die Einkaufzentren im Umfeld und die Stadtgeschäfte verlieren. Da es sich um einen kurzen Tunnel handelt, ist damit zu rechnen, dass auf dieser Route auch Gefahrguttransporte leichter zugelassen werden können als derzeit.

Wer sich vor 60.000 Fahrzeugen fürchtet und glaubt die Lösung unter der Erde zu finden, hat die Stadt und ihre Menschen schon aus den Augen verloren. 1968, als ich mit der Aufgabe betraut wurde, das Verkehrskonzept für die Innenstadt von Wien zu machen, fuhren 120.000 Fahrzeuge täglich durch die Straßen dieses Zentrums. Heute sind es nur mehr die Fahrzeuge, die in der Lieferzeit die Geschäfte bedienen. Fahrbahnen als Ersatz wurden keine gebaut, der Autoverkehr passt sich den Gegebenheiten an. Wien ist nun schon seit Jahren die Großstadt mit weltweit der höchsten Lebensqualität. In den ehemaligen Ostblockländern, aber auch in manchen westdeutschen Städten hat man zur gleichen Zeit viele Städte noch nach der Logik des Stadttunnels die Lebens- und Verkehrsqualität mit Fahrbahnen nachhaltig beschädigt.

Wenn die Menschen in Freiburg im Breisgau

· eine nachhaltige Verkehrspolitik mit weniger Autoverkehr,
· eine Atemluft in der weniger Abgase sind,
· eine verkehrssichere Umgebung,
· ein sozial förderliches menschengerechteres Umfeld für ihre Kinder und ihr Alter,
· eine starke lokale und vitale Wirtschaft und mehr Kaufkraftbindung in der Stadt und
· keine von einer Autobahn durchschnittene Stadt wollen

dann werden sie dem Stadttunnelprojekt aus dem vergangenen Jahrhundert der Verkehrsirrtümer wohl eine Absage erteilen. Wenn nicht, dürfen sie sich später nicht über die Folgen wundern.
Der Tunnelblick hat gerade auf Autobahnen schon vielen das Leben gekostet.
Übrigens: Immer mehr Städte sind schon seit Jahren dabei ihre Autobahnen und Stadttunnel abzutragen um die Zukunft für ihre Bewohner und ihre Wirtschaft wieder nachhaltig zu gestalten.

Hermann Knoflacher zum geplanten Stadttunnel in Freiburg, Wien am 24. Februar 2016